Daimler, Zalando oder Zappos – prominente Beispiele für Agilität in Organisationen. In diesem Beitrag [Teil 2 von 3] schauen wir auf Unternehmen, die nach flexiblen und reaktionsfähigen Methoden und Strukturen streben.
In ersten Teil dieses Beitrags blickten wir auf agile Organisationsformen und was sie ausmacht. Aber in wieweit ist das Thema Agilität in der Unternehmenswirklichkeit angekommen? Ein Praxischeck soll dies zeigen. Nicht nur Start-Ups sondern auch traditionelle Unternehmen, wie Daimler, sind dabei sich neu aufzustellen. Es geht darum, die eigene Organisationsform zukunftsfähig zu machen. Daimler-Chef Dieter Zetsche verkündete erst letztes Jahr den Aufbau einer „Schwarmorganisation“. Dies war auch Teil seines Video Jahresrückblicks 2016. Vernetzen über Abteilungsgrenzen hinweg, flache Hierarchien und start-up-ähnliche Arbeitsweisen – der Stuttgarter Autobauer macht sich schlank für die Zukunft.
Internationale Beispiele aus unterschiedlichen Branchen zeigen, dass selbstorganisierende agile Organisationen nicht nur auf dem Papier funktionieren, sondern auch in der wirtschaftlichen Realität.
Agil und erfolgreich – welche Unternehmen sind bereits losgelaufen?
W&L Gore & Associates, ein hoch innovatives Technologie-Unternehmen mit rund 10.000 Mitarbeitern, aktiv in 30 Ländern und mehr als 3 Mrd. US$ Umsatz im letzten Geschäftsjahr. Bereits seit seiner Gründung in 1958 verfolgt Gore eine Firmenkultur und Organisationsstruktur, die viele Kriterien von Agilität erfüllt. Mit multidisziplinären, direkt miteinander kommunizierenden Teams wurde ein sehr profitables Unternehmen aufgebaut, das ohne Weisungshierarchien in einer sehr flachen Struktur agiert.
Mein Traum war es, ein Unternehmen mit großem Potenzial für alle zu schaffen, die dafür arbeiten. Eine starke Organisation, die persönliche Entfaltung fördert und die Fähigkeiten jedes Einzelnen zu einem Ganzen vervielfacht, das mehr ist als die Summe der einzelnen Teile. – Bill Gore, 1961, Quelle: www.gore.de
Gore hatte also bereits von Beginn eine sehr fortschrittliche Unternehmensausrichtung und hat diese in den letzten Jahren weiter intensiviert. Unser nächstes Beispiel zeigt, dass auch ein klassisch geführtes Unternehmen den Weg zu mehr Agilität beschreiten kann und muss.
Haier ist seit einigen Jahren einer der führenden Hersteller für weiße und braune Ware und erwirtschaftete in 2014 mehr als 32 Mrd. US$ Umsatz. Mit Firmensitz in Qingdao, China und über 60.000 Mitarbeitern weltweit. Mit der Übernahme der Hausgerätesparte von General Electric Anfang 2016 kommen weitere 12.000 Mitarbeiter sowie rund 6 Mrd. US$ hinzu.
Seit der Gründung in 1984 wurde Haier von CEO und Gründer Zhang Ruimin 20 Jahre lang klassisch hierarchisch geführt, bevor in 2005 mit dem Geschäftsmodell „Rendanheyi“ eine konsequent am Kunden ausgerichtete Qualitätsstrategie Einzug fand. Rendanheyi steht für das aktive Verbinden von Unternehmen mit Kunden und von Mitarbeitern mit Nutzern.
Hierzu wurden Teams mit maximal 20 Mitarbeitern aufgestellt und in drei Ebenen nach Kundennähe differenziert. In 2015 wurde die nächste Phase, „Redanheyi 2.0“, eingeleitet, mit der der Netzwerkgedanke noch tiefer verwurzelt und sogar organisationsübergreifend verankert werden soll. Mitarbeiter werden zu Unternehmern im Unternehmen, alles mit dem Ziel, die „Best-in-Class User Experience“ zu entwickeln.
The goals of a platform based business are: First, turn hierarchical command and control into an entrepreneurial platform. Second, shift the mission of the business from maximizing long term profits to becoming a shareholder of micro enterprises. (…) Haier is only one of their shareholders. Unlike other shareholders, Haier is the platform on which these micro enterprises run. Haier provides the platform, not to command and control them, but to help everyone collaborate to create best in class user experience. – Zhang Ruimin, 2015, Quelle: Speech
Aber auch Start-ups müssen die Entwicklung hin zu einer agilen Organisationsform erst durchlaufen bzw. sind stetig dabei, diese zu optimieren. Kleine Unternehmen, die schnell wachsen, stehen ebenso wie traditionelle Unternehmen, vor der Herausforderung Agilität in ihren Strukturen und Prozesse aufrechtzuerhalten.
Zalando will „das Betriebssystem des Mode-Business werden“. Mit diesem Ziel wurde 2015 die neue Organisationsstruktur mit dem Titel „Radical Agility“ eingeführt. Im Zentrum dieser Struktur steht die Überzeugung, vor allem dann schnell zu sein, wenn Teams dezentral arbeiten und sich selbst organisieren sowie eigene Entscheidungen treffen dürfen. Dafür wurde quasi über Nacht das noch junge Zalando-Organigramm minimiert und fast jeder im Unternehmen hatte auf einmal einen oder – je nach Aufgabe – mehrere neue Chefs. Auch die Zusammensetzung der Teams wurde vielfach überarbeitet und interdisziplinär zusammengestellt. Jedes Team kann nahezu frei entscheiden, woran es gerade arbeitet und welche Programmiersprache sie verwenden möchten. Dabei sorgt ein iteratives Vorgehen für das nötige Tempo und die Trial-and-Error-Methode für die Freiheit eigene Ideen schnell zu testen. Diese Struktur ermöglicht es dem Unternehmen nicht nur effektiv und zielgerichtet zu arbeiten, sondern auch das Interesse digitaler Talente zu wecken. Die Bewerberzahlen haben sich nach Auskunft von Eric Bowman, Oberentwickler bei Zalando, seit der Einführung der „Radical Agility“-Struktur verdreifacht. Ein Effekt, der gerade heute im erbitterten Kampf um die Talente, mehr als gern gesehen ist.
Ein Resümee, ein Jahr nach Einführung der neuen Organisationsstruktur, von den Mitarbeitern gibt einen ganz guten Eindruck davon, wie ein solcher Leitgedanke operativ umgesetzt werden kann.
Natürlich hat auch Zappos, das große Vorbild von Zalando, bereits erkannt wie relevant agile Organisationsstrukturen heute sind. Seit 2009 gehört der Onlinehändler zum Amazon-Imperium und ist einer der größten Anbieter für Schuhe und Bekleidung (1.500 Mitarbeiter, 4,7 Mrd. EUR Umsatz in 2014).
Anfang 2014 begann Zappos auf Initiative und unter Führung des CEO Tony Hsieh, das Organisationssystem „Holacracy“ zu implementieren. Im März 2015 forcierte Hsieh die Umsetzung und forderte entsprechende Commitments von seinen Mitarbeitern in einer bemerkenswert offenen Mail ein. So machte er klar, dass es keine Alternative zum eingeschlagenen Weg gibt, dass das Ziel aber auch noch nicht in allen Details klar sei und alle gemeinsam an der Entwicklung geeigneter Lösungen gefordert seien. In der Folge verließen vor allem zahlreiche (ehemalige) Manager das Unternehmen und es gab – auch seitens der Medien – heftigen Gegenwind für Hsieh. Ohne sein konsequentes Einstehen für diesen Weg, wäre „Holacracy“ an diesem Punkt sicher gescheitert. Diese Konsequenz mag vor dem Hintergrund der Zugehörigkeit zum Amazon-Konzern umso bemerkenswerter erscheinen.
Fazit
Wir sind von der Überlegenheit agiler Organisationsformen überzeugt. Das Gleiche gilt aber auch für die Einschätzung, dass es ein weiter und schwieriger Weg sein wird, der viele etablierte Manager mit dem notwendigen „Mindshift“ (über)fordern wird. Der Weg in die Agilität braucht Zeit. Umso wichtiger ist es, seinen Weg sehr bald zu gestalten und zu gehen. Sonst überholen andere!
Im 3. Teil werden die Erkenntnisse der ersten beiden Teile zusammengeführt. Daraus folgt eine Einschätzung inwieweit die Überlebensfähigkeit von Unternehmen von dem Mut zur mehr Agilität abhängt.
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