Ein Plädoyer von Frank Best, Experte für Organisationsentwicklung und Transformationsmanagement. Agile Organisationen [Teil 1] – Effektivität vor Perfektionismus!?
Im 1. Teil der Reihe „Agile Organisationen“ gibt er zunächst einen Überblick zu Charakteristiken und Treibern dieser neuen Organisationsformen und zeigt, dass die Stufe des „Trends“ bereits hinter uns liegt. Im 2. Teil wird er diese Erkenntnis anhand von Beispielen etablierter Unternehmen untermauern und mit uns eine Reise durch gelebte Ansätze aus der Praxis unternehmen. Teil 3 führt die Erkenntnisse zusammen und bietet eine Einschätzung, ob die Überlebensfähigkeit von Unternehmen durch die Etablierung von „Agilen Organisationsformen“ bedingt wird.
Im Kontext der Digitalen Transformation geraten agile Organisationen immer mehr in den Fokus der Aufmerksamkeit. Keine langjährigen Planungszyklen mehr, kein phasenweises Abarbeiten und Schritt-für-Schritt-Vorgehen, die Stichworte sind hier u.a. Reaktionsfähigkeit, Flexibilität, Anpassungsfähigkeit, Robustheit und Belastbarkeit.
Getrieben vom technologischen, strukturellen und sozialen Wandel der Digitalisierung stehen wir am Anfang eines Paradigmenwandels der Organisationsform(en) von Unternehmen. Wohin uns dieser genau führt, ist noch offen. Vergleichbare Situationen aus der Vergangenheit zeigen, dass bei fundamentalen Veränderungen frühes Ausprobieren, Erfahrungen sammeln und aktives Mitgestalten die Überlebenswahrscheinlichkeit erhöhen und dann zu Wettbewerbsvorteilen führen.
Was charakterisiert eine agile Organisation?
Wenn von neuen Organisationsansätzen wie Holacracy die Rede ist, Agilität von Unternehmen verlangt wird und Projektmanagementmethoden wie Scrum oder Design Thinking als Blueprint für Organisationen genannt werden, was steckt dann im Kern dahinter?
Offensichtlich ist, dass es auch für „Agilität“ nicht den einen und universell einsetzbaren Weg gibt, der für alle Unternehmen gleich taugt. Andererseits ist organisatorische Agilität prinzipiell durch die Fähigkeit, früher auf Veränderungen der Kunden bzw. des Marktes zu reagieren, gekennzeichnet. Dazu erforderliche Entscheidungen sollen daten-/faktengestützt auch unter Unsicherheit gefällt werden und die notwendigen Anpassungen von Strukturen und Prozessen können schneller als vom Wettbewerb umgesetzt werden. Diese Geschwindigkeitsvorteile bleiben durch konsequente Verbesserungen und Automatisierungen dauerhaft erhalten. Bedeutend für den Erfolg dieser Anpassungen und Veränderungen sind u.a. agile Werte wie Offenheit, Mut und Commitment. In der Praxis werden sie jedoch regelmäßig unterschätzt.
I.d.R. lassen sich agilen Organisationen aber an den folgenden 5 Dimensionen festmachen, die mit unterschiedlichen Ausprägungen kombiniert werden:
(1) Entfall von bzw. Reduktion auf ganz wenige Hierarchiestufen, die aufgrund der für die jeweiligen Aufgaben erforderlichen Kompetenzen und Erfahrungen besetzt werden
(2) Selbststeuerung mit wenigen aber fakultativen Prinzipien und dezentralisierten Entscheidungsbefugnissen ersetzt zentral gesteuerte Macht- und Steuerungsprozesse
(3) Konsequente, aufgabenorientierte funktionsübergreifende Vernetzung in Richtung Kunden und Markt innerhalb der Organisation sowie extern mit Partnern, darunter auch Wettbewerber
(4) Etablierung einer Kultur der Fehlertoleranz, Akzeptanz von Entscheidungen unter Unsicherheit, Förderung von disruptivem Denken und Handeln in einem Arbeitsumfeld geprägt von Flexibilität und Offenheit
(5) Konsequenter Einsatz von Technologie und Daten zur Entscheidungsfindung, Prozessoptimierung und Entwicklung innovativer Lösungen1
Was sind Treiber für die Verbreitung agiler Organisationen?
Die Digitale Transformation von Arbeits- und Berufsleben hat die Umwelt verändert. Schnelles Reagieren auf sich ergebende Chancen und Risiken am Markt wird ebenso verlangt, wie eine hohe Adaptionsfähigkeit an sich verändernde Rahmenbedingungen. Kommunikation, Kooperation und Kollaboration sind unabdingbar. Hohe Innovationskraft ist erforderlich und die kontinuierliche Verbesserung aller Prozesse kann die Wettbewerbsfähigkeit hinsichtlich Effizienz und Effektivität aufrechterhalten. Agile Organisationen sind oft schneller und noch besser auf den Kunden ausgerichtet.
Bisherige, hierarchisch geprägte Organisationsformen geraten an ihre Grenzen und genügen den Anforderungen nicht mehr.
Das Bewusstsein und die Verhaltensweisen der Menschen verändern sich. Spontanität und Flexibilität erweitern in immer stärkerer Ausprägung das bestehende Weltbild. Wissen und Kompetenz als Merkmale natürlicher Hierarchien lösen machtorientierte, formale Hierarchien ab oder ergänzen diese. Die Bereitschaft in Netzwerken zu denken und zu handeln steigt, auch durch die wachsende Bedeutung einer ganzheitliche Sichtweise.2 Das Verhalten der sog. „Generation Y“ in den sozialen Netzwerken ist sinnbildlich für diesen Bewusstseinswandel: Aufmerksamkeit ist die Währung, die ihre „Leader“ definiert, verdient wird sie in einem demokratischen Prozess. „Nutzen statt Besitzen“ – Carsharing statt Statussymbol – reflektiert die Relevanz von Spontanität und Flexibilität für die nachwachsende(n) Generation(en).
Die Digitalisierung fördert die Mobilität von Arbeit: Immer mehr Aufgaben können zunehmend global, flexibel bearbeitet werden. Auch der Aufgabentypus ändert sich. Eines der wichtigsten Kernelemente des Erfolgs – Arbeitsteilung – rückt in den Fokus. Durch die steigenden Anforderungen an Geschwindigkeit und Adaptivität wächst in den Unternehmen der Anteil von Projektarbeit. Konzepte werden früher zur Diskussion gestellt und Effektivität geht vor Perfektionismus.
Ausblick
Im 2. Teil wird an prominenten Beispielen gezeigt, dass „agile Organisationsformen“ in der Praxis längst angekommen sind, jedoch individuell eingesetzt in unterschiedlichen Formen erscheinen.
Sources: 1 vgl. u.a. N. Pfläging, Organisation für Komplexität, 3. Aufl., 2015, 2 vgl. F. Laloux, Reinventing Organizations, 2014, Copyright verwendete Bilder: Fotolia, #538184, Jim Parkin